Einfach spüren, wie das Leben fliegt.

Unter dem Titel „Heile Schule, heile Welt“ fand in der letzten Woche ein online Bildungsgipfel statt, initiiert und organisiert über Pioniers of Education von LernKulturzeit und Schule im Aufbruch. Ich war überwältigt und zugegebenermaßen auch ein wenig überfordert von der angebotenen Fülle der Impulse und verschiedenen Perspektiven. Gleichzeitig bin ich nachhaltig glücklich, dass sich gerade so viel zu bewegen scheint und sich Menschen finden und zusammentun, um gemeinsam Entwicklungen und Veränderungen in unseren Bildungseinrichtungen voranzutreiben.   

Was alles im Argen liegt, womit wir uns intensiv und ehrlich auseinandersetzen müssten, wo wir überall genauer hinschauen und hinhören müssten und vor allem aus dem Gesehenen und Gehörten Konsequenzen in unser Handeln hinein ableiten müssten, lässt mich manchmal innerlich unruhig und ungeduldig werden. Hin und wieder habe ich das Bedürfnis sehr laut auf die Symptome, die sich uns immer und immer wieder in der Arbeit zeigen, aufmerksam zu machen, um die Notwendigkeit spürbar werden zu lassen, dass wir vieles jetzt anders machen müssen.

Im Gegensatz zu meiner Kollegin und Freundin Aneke, die ein besonderes Talent zur Ruhe und zum verstetigenden Dranbleiben an den Dingen auszeichnet, Tag für Tag, Schule für Schule, Gemeinschaft für Gemeinschaft, möchte ich manchmal geradezu platzen vor Ungeduld. Weil uns die Zeit davonläuft, weil, wie Silke Weiß (LernKulturzeit) in ihrer Eröffnungsmail zum Bildungsgipfel schrieb, gerade in den letzten Tagen in den Medien berichtet wird, dass viele Lehrer:innen aussteigen, weil sie die Belastung nicht mehr ertragen. Wir sind konfrontiert damit, dass Schule krank macht. Eine Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) belegt, dass fast ein Drittel der Lehrer:innen sich innerhalb ihrer ersten fünf Berufsjahre für ihre Gesundheit entscheiden und die Schule wieder verlassen. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die an psychischen oder psychosomatischen Symptomen leiden, steigt  und nicht erst durch Corona.

Aufgaben und Herausforderungen scheint es unendlich viele zu geben und wenn ich mich von der Größe und Dringlichkeit der zu bewältigenden Schieflagen nicht lähmen lassen möchte, hilft mir meine Ungeduld tatsächlich nicht viel weiter. Sie mag ein Motor sein, der mich antreibt, nicht nachzulassen und als solcher ist sie eine Kraft. Aber in der konkreten Arbeit brauche ich mehr denn je meine innere Ruhe, um einen Raum zur Verfügung stellen zu können, in dem sich die Beteiligten sicher aufgehoben, gemeint und nicht zu irgendetwas gedrängt fühlen können. Ich brauche meine Zuversicht, dass wir gemeinsam etwas bewirken. Und dass es jeder noch so kleine Schritt wert ist.

Es gibt verschiedene Eintrittspunkte in die Systeme hinein und zwei grundsätzliche Bewegungsrichtungen.

Wir können die Veränderung von außen nach innen oder von innen nach außen anstoßen. An dieser Stelle würde ich gerne einmal kurz die Begriffe Veränderung und Entwicklung differenzieren wollen: Aus unserer Erfahrung können wir die Erkenntnis ableiten, dass eine Veränderung nicht unbedingt eine Entwicklung nach sich ziehen muss. Während eine Entwicklung meistens auch mit einer Veränderung einhergeht. Damit eine Veränderung nachhaltig wird, braucht sie unseres Erachtens beides: Veränderung UND Entwicklung, von außen UND von innen. Wir gehen allerdings davon aus, dass die Veränderung, die von innen in Form einer Entwicklung initiert wird, eine sehr wesentliche ist, um nachhaltig etwas in eine andere Richtung zu bewegen und neue Strukturen und Parameter entwickeln und verankern zu können.

Und hier liegen auch unsere Erfahrungen und Kompetenzen. Wir arbeiten an Wahrnehmung, Begegnung und Kommunikation. Dafür stellen wir immer wieder einen offenen und geschützten Raum zur Verfügung, in dem wir dazu einladen, sich der eigenen Innenwelt zuzuwenden und sich selbst, das persönliche Da-sein in der Welt und die Art, wie wir mit anderen interagieren wahrzunehmen und zu reflektieren. Ausgehend von den Entdeckungen und Erkenntnissen aus diesen Reflektionen gestalten wir gemeinsam das Miteinander und werden uns dabei der eigenen Spiel- und Handlungsräume bewusst.

Wir suchen den Weg von innen nach außen, weil wir glauben, dass es uns auf diese Weise gelingt, erstens möglichst niemanden zu übersehen, auszuschließen oder zurückzulassen im Entwicklungsprozess und zweitens die gewünschten Veränderungen nachhaltig zu verankern. Denn es geht weniger darum, an der ein oder anderen Stelle für Entlastung zu sorgen und kleine Reformen durchzusetzen. Es geht vielmehr darum, den Status Quo zu hinterfragen und ganz grundsätzlich eine neue Kultur zu entwickeln, in der wir der Ausgrenzung und Vereinzelung entgegenwirken und gemeinsam einen offenen und kreativen Entwicklungs- und Lernraum ermöglichen können.

Wir glauben an das Potential von tragfähigen Beziehungen, in denen wir uns zeigen dürfen und nicht verstellen müssen.

In denen wir uns verbunden mit uns selbst und den anderen entwickeln und entfalten dürfen. Und sind überzeugt davon, dass es uns, getragen von solchen Beziehungen, gelingt Leben, Lernen und Arbeit sinnhaft und nachhaltig zu gestalten und eine Gesellschaft zu bauen, in der jede*r ihren oder seinen Platz finden kann.

Eine Klassengemeinschaft, oder ein Kollegium, im besten Fall natürlich eine ganze Schulgemeinschaft, in der jede:r sichtbar werden darf, so wie er oder sie ist, ohne befürchten zu müssen, dafür verurteilt oder ausgegrenzt zu werden, hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, eine starke und inklusive Gemeinschaft sein zu können. Mit allen Aushandlungsprozessen, die immer wieder dazugehören.

Dafür laden wir die Schüler:innen und ihre pädagogischen Begleiter:innen über künstlerische und körperliche Erfahrungen dazu ein, sich neu und anders zu begegnen. Wir involvieren sie in kreative Prozesse, in denen sie verschiedene Perspektiven einnehmen und gemeinsame und individuelle Erfahrungen machen können, die wir zusammen reflektieren, auswerten und auf Ihre Situation in der Gemeinschaft ihrer Klasse übertragen. Ziel ist es dabei, dass die Schüler:innen eine differenzierte Wahrnehmung von sich selbst und den anderen entwickeln, eine angemessene Sprache für ihre Beobachtungen, Gedanken und Gefühle finden und sich selbst in der Gemeinschaft als wirksam und handlungsfähig erleben.

Wir freuen uns sehr im März 2022 eine ganze Woche lang mit zwei 5. Klassen der Elbe Grundschule in Berlin-Neukölln die Grundvoraussetzungen für Vertrauen, Akzeptanz, Zugehörigkeit und Gemeinschaft zu erkunden. Unser Team haben wir mit der Tanz- und Bewegungstherapeutin Katharina Schüssler von Ab in die Transformation und mit dem Schauspieler Timo Hastenpflug verstärkt, um möglichst aus unterschiedlichen Perspektiven Impulse in den Prozess geben zu können. Und wir bekommen Besuch von Anne Sophie-Mentha von spielart aus Bern. Anne-Sophie ist Expertin für Bewegung und schon lange Teil des spielart Teams in der Schweiz.

Gedicht einer Schülerin

Einfach spüren, wie das Leben fliegt

Es war kein Tag der Trauer
Auch kein Tag der Freude

Es war ein Tag an dem man spüren wollte
wie die Wolken vorüberziehen
Sehen wie der Himmel sich an den Horizont legt

Ein Tag an dem man den Wind entfliehen hörte
Das Haar in die Luft legen
Und das Gras im Licht schillern sehen wollte

Es war ein Tag den man leben wollte
Um einfach zu spüren wie das Leben fliegt

Lena W.